Youngtra
Sex kann man lernen. Muss man ja auch irgendwie, so wie alles andere im Leben auch.
Für das, was uns Freude macht, nehmen wir uns Zeit und gerne auch Geld in die Hand: zum Beispiel für das Lernen von Musikinstrumenten, Sportarten, Fremdsprachen. Vieles, das unsere Gesellschaft für wertvoll erachtet, wird in der Schule gelehrt.
Das gilt leider nicht für Sinnlichkeit und Sexualität. Die meisten von uns haben noch nicht einmal eine Person, mit der sie über diese Themen vertrauensvoll und selbstverständlich sprechen können. Das ist ein wesentlicher Grund, warum viele im Erwachsenenalter Schwierigkeiten mit dem Thema haben.
Wäre es nicht toll, wenn man in jungen Jahren einen Kurs machen könnte, in dem die Basics guter einvernehmlicher Berührung und der Umgang mit Begehren und Lust unterrichtet werden? Mit Respekt, Verständnis, Kompetenz und Freude?
Das dachte sich auch das Team von AnandaWave, einem großen Tantra-Massage- Ausbildungsinstitut in Köln. Dort gibt es verschiedene Seminare zum Thema, sowohl für professionelle Anbieter*innen als auch für den Hausgebrauch. Bisher wurden diese hauptsächlich von Menschen ab Mitte 30 besucht. In diesem Alter fragen sich viele, ob das denn schon alles war mit dem Sex oder ob es noch mehr zu entdecken gibt.
Auf einem Seminar vor drei Jahren fiel wieder einmal der so oft gehörte Satz: „Ich wünschte, ich hätte das hier viel früher in meinem Leben kennengelernt“. Und so fingen Madlen, Christoph und Johanna an, darüber nachzudenken, wie ein Format aussehen könnte, das sich speziell an junge Menschen und ihre Bedürfnisse richtet.
Dieses Jahr im Januar konnte „YoungTra“ dann zum ersten Mal stattfinden, nachdem es pandemiebedingt dreimal abgesagt werden musste. Das Seminar dauert 3,5 Tage und findet in einem Seminarhaus in der Nähe von Münster statt. Es richtet sich an Menschen zwischen 18 und 30 Jahren. Das Erlernen der Tantra-Massage in etwas abgewandelter Form bildet den Kern seines Inhalts: Sie eignet sich hervorragend dafür, liebevolles und sinnliches Berühren als auch sich selbst intensiv kennenzulernen. Darüber hinaus geht es um sinnliche Begegnung im Allgemeinen, in Wort und Tat. Die eigenen Wünsche im Kontakt mit anderen Menschen zu kommunizieren will gelernt werden - hierfür bietet das 3-Minuten-Spiel (inspiriert vom “Wheel of Consent” von Betty Martin) eine schöne Spielwiese. Es wird außerdem meditiert, getanzt, berührt - und ganz viel geredet - es ist Absicht, dass viel Zeit bleibt für Gespräche, Fragen, Austausch.
Madlen berichtet:
Die Selbstverantwortung spielt eine sehr große Rolle für uns. Wir unterstützen unsere Teilnehmer*innen immer wieder dabei, ihre eigenen Bedürfnisse und Grenzen zu erkennen und zu kommunizieren. Alle sind dazu eingeladen, ihr jeweils eigenes Tempo zu respektieren. So muss zum Beispiel niemand nackt sein, bevor sie oder er dazu bereit ist.
Das hat wunderbar funktioniert. Im Laufe der Zeit entstand ein sehr vertrauensvoller und freier Raum, in dem sich auch die wohl fühlten, für die Körperkontakt mit Gleichaltrigen neu war oder die schon schlechte Erfahrungen gemacht hatten.
Dabei war es wohl das emotional intensivste Seminar, das ich je geleitet habe. Aber alle sind gut durchgekommen und das Feedback war überwältigend positiv. Diese jungen Leute haben mich wirklich beeindruckt. Und es bestärkt mich darin, dass es auch bei aller Erfahrung, die ich schon in der Leitung von Seminaren sammeln durfte, so viel Sinn macht, wirklich zuzuhören und sich inspirieren zu lassen von den Teilnehmenden.
Viele der Menschen wollen weitermachen und auch unsere anderen Kurse besuchen. Aber für mich hat sich definitiv bestätigt, dass es gut ist, wenn junge Menschen die erste Berührung mit Tantra in der eigenen Alters-Peergroup erleben können.
Wir machen auch weiter: Dieses Jahr sind noch zwei YoungTras geplant. Wir freuen uns sehr darauf!
Statt eines Schlussworts: Die Feedbacks von zwei Teilnehmenden (mit freundlicher Genehmigung):
Liebes Youngtra-Team,
Da ich vorher schon zwei Tantra-Massagen erleben durfte, konnte ich nur in Ansätzen erahnen was auf mich zukommt. Meine Erwartungen wurden mehr als übertroffen und es war ein einzigartiges Erlebnis:
Ich habe mich vom ersten Moment an wohl gefühlt. Es wurde ein liebevoller Raum erschaffen in dem alle Emotionen, Gefühle, Arten des Ausdrucks und des Seins da sein dürfen. Tantra ist für mich gelebte Intimität. Intimität bedeutet für mich Verbundenheit und Vertrautheit, sich ohne Angst öffnen zu können. Es geht um das authentische Sein. Ich durfte einfach sein, so wie ich bin. Ich habe mich zum ersten Mal seit langem wieder komplett gesehen gefühlt. Es ist ein Gefühl des wahrgenommen Werdens und angenommen Seins, in allen Aspekten meiner Selbst. In meiner Freude, meiner Trauer, ggf. meiner Unsicherheit, meiner Wut und auch in meiner Lust und Sexualität! Während einer Massage, die ich empfangen habe, dachte ich mir, wie schön es ist, in diesem respektvollen Rahmen sich selbst und seine Sexualität zu entdecken. Mir hat es sehr viel Spaß gemacht meine Massagepartner:Innen in dem zu begleiten was sich zeigen mag. Dass wir bei den Massagen nackt waren, hat die Intimität zwischen uns allen verstärkt. Es war ein Nacktsein ohne gesellschaftliche Bewertungen, ohne Sexualisierung. Es ist ein Nacktsein der Freiheit, des Natürlichen, voller Respekt und Bewunderung über die Schönheit und Vielfältigkeit der Körper. Das Gefühl während der Massagen ist auch nur schwer bis gar nicht in Worte zu fassen. Für mich ist es ein Gefühl der kompletten, authentischen Präsenz, mit allen Facetten des Seins und seiner Selbst. Es sind verschiedene körperliche, seelische und emotionale Zustände, die teilweise gleichzeitig da sein können und sein dürfen.
Es war zu fast jedem Zeitpunkt eine positive, liebevolle, herzliche Stimmung und Energie im Raum. Die Leitung hat mir zu jedem Zeitpunkt das Gefühl gegeben, sicher zu sein. Ich konnte durch die Begegnung mit mir selbst und mit anderen Teilnehmer:Innen sehr viel lernen und nehme viel Selbstbewusstsein und Selbstvertrauen mit.
Fady, 26 Jahre
Liebes Youngtra Team,
Ich bin auch noch nach knapp zwei Wochen so erfüllt. Erfüllt von purer Liebe.
Aber erstmal zum Anfang meiner Reise:
Als ich von der Mutter meiner Freundin erfuhr, dass es ein YoungTra Seminar gibt, weiß ich noch genau, wie neugierig ich war und gleichzeitig wie verängstigt, ob ich das wirklich schaffen würde, so ganz allein. Mit all meinen Glaubenssätzen, die mir einreden wollten, dass ich nicht mutig, nicht stark, nicht groß genug bin und ich es nicht schaffen kann.
Also beschloss ich erstmal selbst zu einer TantraMassage zu gehen, um wirklich zu wissen, auf was ich mich genau einlasse. Danach fühlte ich mich, als wäre ich im Himmel gewesen. Ich war bestärkter denn je, dass das der richtige Weg für mich ist, an diesem Seminar teilzunehmen. Aber ja, da stand sie trotzdem vor mir, meine altbekannte Angst. Doch dieses Mal nahm ich sie an die Hand.
Und ich bin so verdammt stolz auf mich, dass ich diesen Schritt gewagt habe. Denn ich habe Ja zu mir selbst gesagt!
Ich bin mir endlich wieder begegnet! Mir, ganz pur. Mit all dem was ich in mir trage. Lange hab ich mich nicht getraut, meine Liebe zu sehen, sondern habe nur durch die Angst hindurch gesehen, obwohl ich mich doch so sehr nach mir gesehnt habe.
Ich durfte mit allem was zu mir gehört, meiner Introvertiertheit, Freude, Traurigkeit, Schmerz, Liebe, Mut und meiner Geschichte, da sein. Ich kann den Zauber, der auf diesem Seminar stattgefunden hat, kaum beschreiben.
Aber ich möchte es versuchen.
Innerhalb dieser vier Tage konnte ich durch die Begegnung mit den Teilnehmer:innen und dem Seminarleitungsteam so viel über mich selbst lernen. Natürlich war ein großer Bestandteil die Tantramassage und dies brachte, wie zu erwarten, die ein oder andere Herausforderung mit sich. Doch vor dieser stand ich nie allein. Wenn ich Unterstützung benötigte, gab es zu jeder Zeit die Möglichkeit, ins Gespräch zu gehen und es wurde eine gute Lösung gefunden. Zu jedem Zeitpunkt hatte ich selbst die Wahl, ob ich aktive Teilnehmerin sein möchte oder ob ich gerade etwas anderes brauche. Zum Thema Konsens habe ich ebenfalls so Wertvolles gelernt. Wie ich mit Menschen in Begegnung gehen kann, ohne mich selbst und meine Grenzen aus den Augen zu verlieren. Ich könnte wahrscheinlich noch so viel mehr schreiben aber am besten ist es doch wahrscheinlich, du erlebst es einfach selbst?!
Germaine, 29 Jahre